Der letzte Akt
nach Michael A. Musmannos Buch Ten
Days to Die
Österreich
1955, Cosmopol für Columbia Pictures
Originallänge: 115 Min., schwarz/weiß
Regie: Georg Wilhelm Pabst ; Produktion:
Carl Szokoll; Buch: Fritz Habeck,
nach einem unveröffentlichten Entwurf von Erich Maria Remarque; Kamera:
Günther Anders; Schnitt: Herbert Taschner; Musik: Erwin Halletz
Darsteller: Albin Skoda (Hitler), Oskar Werner (Hauptmann Wüst), Erich
Frey (General Burgdorf), Herbert Herbe (General Krebs), Kurt Eilers (Martin
Bormann), Hannes Schiel (SS-Obersturmbannführer Günsche),
Willy Krause (Joseph Goebbels), Otto Schmöle
(Generaloberst Jodl), Hermann Erhardt (Hermann Göring), Leopold Hainisch (Generalfeldmarschall Keitel), Otto Wögerer (Generalfeldmarschall von Greim),
Eric Suckmann (Heinrich Himmler), Walter Regelsberger (Major Venner),
Julis Jonak (Hermann Fegelein),
Gerd Zöhling (Richard), Erland
Erlandsen (Albert Speer), John van Dreelen (Major Brinkmann), Ernst Waldbrunn (Astrologe),
Guido Wieland (Arzt), Franz Messner (Otto), Otto Gutschy
(Franz), Lotte Tobisch (Eva Braun), Helga Dohrn (Magda Goebbels), Elisabeth Epp (Mutter Richards),
Herta Angst (Jutta)
Erstaufführung:
Wien und Köln, 14. April 1955
Auf Vermittlung von Remarques langjährigem
Freund Friedrich Torberg trat Anfang August 1954 der Produzent der Cosmopol-Film Wien, Carl Szokoll,
an Remarque mit der Anfrage heran, ein Drehbuch über Hitlers letzte zehn Tage
im Bunker der Reichskanzlei zu verfassen. Nach anfänglichem Zögern
unterzeichnete Remarque schließlich den Vertrag, traf Szokoll
und den für den Film als Regisseur geplanten Georg Wilhelm Pabst
in München und begann Ende August 1954 mit der Arbeit (siehe Bd. V:
Tagebucheintragung vom 21.08.1954).
Vorlage des Films
und damit des Drehbuchs sollte Michael A. Musmannos
dokumentarischer Bericht In zehn Tagen kommt der Tod. Augenzeugen berichten
über das Ende Hitlers sein, der 1950 sowohl in den USA als auch auf Deutsch
bei Droemer in München erschienen war. Musmanno war Richter bei den Nürnberger Prozessen gewesen
und wollte mit seiner Dokumentation vor allem dem Mythos entgegenwirken, Hitler
könne noch am Leben sein:
Es war unvorstellbar, daß ein menschliches Wesen, das die halbe Welt in Trümmer
gelegt und die menschliche Gemeinschaft in Schmerzen versetzt hatte, für die es
kein Beispiel gibt, einfach von der von ihm beherrschten Bühne verschwinden
konnte, um der Menschheit nichts als ein Rätselraten über sein Schicksal oder
seinen Verbleib zu hinterlassen. Das war eine Lücke, die für die
Geschichtsschreibung unduldbar war. Somit war es unerläßlich, eine erschöpfende Untersuchung über jede
Handlung und jeden Vorgang um Hitlers Verschwinden anzustellen; es mußten eine bündige Klärung und Erklärung erfolgen, die unzweideutig
und praktisch unangreifbar aussagen mußten, ob Hitler
noch lebe oder ob er tot sei,
schrieb
Musmanno im Vorwort seiner Darstellung. Noch 1950 sah
Musmanno in den USA Georg Wilhelm Pabsts
Film Der Prozeß, der ihn dazu bewegte – laut Pressemeldungen
–, Pabst zum Regisseur der Verfilmung seiner
Dokumentation auszuwählen. Ein Produzent wurde in der Wiener Cosmopol-Film und deren 28jährigem Finanzier Ludwig
Polsterer gefunden.
Einen erstes, knapp zehnseitiges Treatment zum Film verfaßte
der Wiener Schriftsteller Fritz Habeck, der als
wesentliches fiktionales Element den Hitlerjungen Richard in den Film, der
keine reine Dokumentation werden sollte, einbrachte. Die Idee ging zurück auf
eines der letzten Photos Hitlers, wie er im Garten
der Reichskanzlei eine Gruppe Hitlerjungen mit dem Eisernen Kreuz auszeichnet. Habecks Treatment fand jedoch offenbar nicht die Zustimmung
von Szokoll, der alle Aspekte des Filmprojektes
kontrollierte, so daß möglicherweise zunächst
Friedrich Torberg und danach Remarque angesprochen wurden, ein Drehbuch zu
verfassen. Sicherlich spielte der Name Remarque bei dieser Entscheidung eine
nicht unwichtige Rolle.
Am 21. September
1954 schloß Remarque ein erstes, kursorisches,
zehnseitiges Treatment ab, in dem er den Ablauf des Films sowie einzelne Szenen
und Dialoge lediglich skizziert hatte. Die entscheidende Neuerung Remarques
bestand in der Einführung der Figur des Hauptmann Wüst: die bisherigen zwei
Stränge der Filmhandlung – das Geschehen um Hitler einerseits, kontrastiert mit
der Handlung um den Hitlerjungen Richard andererseits – wurde nun erweitert um
die Figur Wüst, die als Teil des Systems vermittelnd zwischen den beiden
Strängen fungierte und gleichzeitig ein kritisches Sprachrohr darstellte.
Aufgrund dieses ersten Treatments und der Vorlage eines fast 150seitigen
Drehbuchentwurfs als 1. Fassung wurde Szokoll und Pabst bewusst, daß Remarque
allenfalls einen Drehbuchentwurf, jedoch kein fertiges Drehbuch würde abliefern
können, man jedoch andererseits die Konzeption Remarques weiter verfolgen
wollte. Nach weiteren Besprechungen mit Szokoll und
einer Korrektur und Kürzung der ersten Fassung reiste Remarque zusammen mit
Paulette Goddard am 5. Oktober 1954 zur Kur nach Montecatini
Terme in die Toscana ab, wo weitere Besprechungen mit
Szokoll, Pabst und dem neu
engagierten Drehbuchautor Norbert Kunze stattfanden. Bis Anfang November 1954 schloß Remarque die zweite, 1998 Fassung seines
Drehbuchentwurfes ab.
Auch bei dieser
zweiten Fassung war sowohl Szokoll als auch Remarque
klar, daß der Text nur vorläufigen Charakter besaß
und lediglich Anhaltspunkte für die spätere Verfilmung liefern sollte, was im
Text insbesondere an den Notizen Remarques deutlich wird, in denen er sowohl
die Überprüfung einzelner historischer Fakten fordert als auch Szenen
kommentiert.
Remarque sandte sein Manuskript zur Abschrift nach Wien, da ihm in Montecatini Terme keine Sekretärin zur Verfügung stand.
Anfang Dezember 1954 erhielt er jedoch bereits das zunächst von Habeck, Kunze und einem weiteren Autor, Harald Zusanek, nach dem Ausscheiden von Kunze und Zusanek von Habeck allein verfaßte Drehbuch des Films zur Korrektur, ohne auf seinen
eigenen Text zurückgreifen zu können. Die Autoren hatten Remarques Entwurf
stark überarbeitet, zum Teil zum großen Ärger Remarques: „Drehbuch schwach,
schlecht, unnötig dramatisch aufgeputzt, lose Enden, falsch psychologisch“, so daß er, obwohl der mit ihm geschlossene Vertrag nur einen
Drehbuchentwurf vorsah, weiter an dem Drehbuch mitarbeitete und zu letzten
Korrekturen schließlich vom 19. bis Ende Januar 1955 nach Wien reiste, um den
Dreharbeiten beizuwohnen.
Den Stellenwert, den die Cosmopol Remarque
schließlich bei der Entstehung des Drehbuches einräumte, wurde in der
endgültigen Formulierung der Credits (der Film hatte
keinen Vor- oder Abspann) deutlich: „Nach einem unveröffentlichten Entwurf von
Erich Maria Remarque. Drehbuch: Fritz Habeck“. Die
Premiere des Films erfolgte am 14. April 1955 in Köln und einen Tag später in
Wien.
Trotz der
Schwierigkeiten bei der Erstellung des Drehbuchentwurfs und der Zusammenarbeit
mit der Cosmopolfilm identifizierte sich Remarque
stets mit dem Inhalt und den Zielsetzungen des Films. Die Arbeit an Der
letzte Akt fiel für Remarque in eine Phase, in der er sich sowohl schriftstellerisch
als auch persönlich intensiv und kritisch mit der jüngsten deutschen Geschichte
und deren Behandlung in Deutschland auseinandersetzte. Bereits die Nachricht
von der Mitarbeit Remarques an dem Film über Hitler in dem Artikel von Karl Stankiewicz in der Freien Presse (Bielefeld) am 1.
Oktober 1954 löste Verwunderung und Empörung in der deutschsprachigen Presse
aus. Unter dem Titel „Hitler war kein Kasperl“ berichtete der Spiegel am
6. Oktober 1954 kritisch über die Vorbereitungen zum Film, nahm jedoch den
Produzenten Szokoll in Schutz, der zuvor von
österreichischen Organen des Verrats bezichtigt worden war. Szokoll
hatte der auf Wien zurückenden Roten Armee den
genauen Plan der deutschen Verteidigungsstellungen zukommen lassen und so den
weitgehend kampf- und zerstörungslosen Fall der Stadt ermöglicht. Der Spiegel
wies zudem auf Schwierigkeiten der Filmemacher mit der Freiwilligen
Selbstkontrolle in der Bundesrepublik hin und: „Bonner Funktionäre zeigten
Bedenken bezüglich Frankreichs; man wecke eingeschlafene Erinnerungen.“ Unter
der Überschrift „Story von Remarque“ legte der Spiegel am 9. Februar
1955 nach:
Blasiert wie auch sonst räkelte sich
Erich Maria Remarque an einem Tag der letzten Januar-Woche auf einem der
zierlichen Stühle des Wiener Hotels Sacher und sprach über den neuen
Hitlerfilm: „In einer Zeit, wo man nur ein Mitglied des Auswärtigen Amtes
werden kann, wenn man einmal in der NSDAP gewesen war, ist der Film doppelt
notwendig. Die Gefahr des Neonazismus ist kein dummes Gerede. Wir müssen
zeigen, daß Hitler wie eine Ratte im Keller gestorben
ist“.
Anders
der Bericht über das selbe Ereignis im Leipziger
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel vom 12.
Februar 1955:
Erich Maria Remarque, der Verfasser
von Im Westen nichts Neues, hat auf einer Pressekonferenz in Wien auf die
beunruhigende Tatsache hingewiesen, daß die Nazis in
Westdeutschland wieder hohe Posten innehaben, und erklärt, es müsse etwas
geschehen, um die Wiedergeburt des Nazismus zu verhindern. Erich Maria
Remarque, der Deutschland nach der Machtergreifung durch Hitler verlassen
hatte, hat dieser Erklärung die Mitteilung hinzugefügt, daß
ihn seine ernste Besorgnis bezüglich der Rückkehr des Nazismus gedrängt habe,
ein Szenarium für den antifaschistischen Film Der letzte Akt zu schreiben, der
gegenwärtig in Wien gedreht wird.
Diese
bereits im Vorfeld der Premiere des Films ausgetragenen deutsch-deutschen
Scharmützel und die westdeutsche Kritik am Film, deren Leitlinien in diesen
beiden Zitaten bereits deutlich werden, setzten sich nach der Premiere fort.
Insbesondere der dokumentarische Charakter des Films wurde von verschiedenen
Seiten in Zweifel gezogen. Nicht zuletzt die Filmbewertungsstelle (FBW) konnte
sich nicht entschließen, dem Film Der letzte Akt ein – geringere Steuern nach
sich ziehendes – Prädikat zu verleihen:
Es ist dem Bewertungsausschuß
nicht möglich, die Handlung auf ihre historische Wahrheit zu überprüfen. Die im
Drehbuch niedergelegte Ansicht über die handelnden Personen, im wesentlichen Hitler
und sein Gefolge, außerdem die Wehrmachtsführung, steht dabei in vielem zu sehr
in einem bis jetzt historisch nicht ganz überblickbaren Raum. Die breite
Ausspielung der Orgien in der Kantine des Bunkers, die in ihr ausgedrückte
Atmosphäre in den drei dargestellten Szenen des Tanzes der Krankenschwester,
des Parademarsches des Verwundeten und das Absingen des Liedes „Heute gehört
uns Deutschland...“ in der ihr unterlegten Symbolkraft sind aus der Situation
nicht genügend motiviert und lassen den Verdacht einer bewußten
Meinungslenkung zu. [...] Der Bewertungsausschuß ist
[...] der Meinung, daß die durchschnittlich gute
filmkünstlerische Leistung eines so zeitnahen und in der Diskussion der jetzt
lebenden Generationen so ungeklärten Zeitablaufes allein keinen prädikatisierungswürdigen Film ergeben hat.
Die „historische Wahrheit“ der Handlung des
Films lag in 20 Aktenordnern mit Zeugenaussagen begründet, die Musmanno seinem dokumentarischen Bericht zugrundegelegt hatte, der Habeck
und Remarque mit Richard und Wüst lediglich fiktionale Kontrastfiguren an die
Seite gestellt hatten. Für Remarque lag denn auch der Beweggrund für seine
Mitwirkung am Film weniger in der Aufdeckung der historischen Wahrheit, sondern
in der Mahnung an die Gegenwart, ein Wiedererstarken des Nationalsozialismus
und vor allem des für ihn unmittelbar damit verbundenen deutschen Militarismus
und Befehl-Gehorsams-Denkens zu verhindern. Obwohl die Schlußsätze
des Films „Seid wachsam. Sagt nie mehr jawohl!“ nicht im Drehbuchentwurf Remarques
enthalten waren, machte er sie genau ein Jahr nach der Premiere zum
Ausgangspunkt seines Essays Seid
wachsam!, der am 30. April 1956 im Londoner Daily Express unter
dem Titel Be Vigilant!
publiziert wurde. Remarque fragte: „Ist es nötig, wachsam zu sein?“ und
antwortete mit Beispielen aus der schleichenden Rehabilitation der NS-Täter und
NS-Mitläufer in der Bundesrepublik. Für Remarque war die Arbeit an Der
letzte Akt integraler Bestandteil seiner politischen schriftstellerischen
Arbeit in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre.
Der Film Der
letzte Akt war im Juli 1955, nach Aussage Szokolls
bei den Kölner „Mittwochsgesprächen“, in 52 Ländern angelaufen und damit der
bis dahin größte Erfolg des deutschsprachigen Films nach dem Krieg – und selbst
die Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte am 22. Juli 1955, „der
politische deutsche Film und namentlich dieser ‘letzte Akt’ habe im Ausland den
künstlerischen Filmcredit der Deutschen erhöht.“
· Musmanno,
Michael A. In zehn Tagen kommt der Tod. Augenzeugen berichten über das Ende
Hitlers. München: Droemer, 1950 [R-A 9.7.001].
Erich Maria Remarque. "Der Letzte
Akt". In: Erich Maria Remarque. Das unbekannte
Werk. Band 3: Werke für Film und Theater.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, S. 11–151.
"Be
Vigilant! By Erich
Maria Remarque". Daily Express (London), 30.04.1956 [R-C 2.11/004].
"Albin Skoda,
...". Der Spiegel (Hamburg), 1954, 48, 34 [R-A 9.7.002].
"Hitler-Film
wird Tatsache". Westfälische Zeitung (Bielefeld), 26.06.1954 [R-A
9.7.003].
"Hitler war
kein Kasperl". Der Spiegel (Hamburg), 41, 06.10.1954, 37-39 [R-A
9.7.007].
K. St. [Karl Stankiewitz]. "Hin und Her um Hitlerfilm". Der
Tag (Berlin), 08.10.1954 [R-A 9.7.008].
Guil. "Der letzte Akt". Variety Film Reviews (New York), 18.05.1955 [R-A 9.7.019/1].
Crowther, Bosley. "Screen: 'Last Ten
Days'". New York Times, 12.04.1956, 4 [R-A 9.7.034].
B. P. "Der
letzte Akt". Wolfenbütteler Zeitung, 16.05.1956 [R-A 9.7.036].
Melanie Latus. »Die Filme Der letzte Akt und Der Untergang
im Vergleich«. Thomas F. Schneider (ed.). Erich Maria Remarque und der Film.
Göttingen: V&R unipress, 2012 (Erich Maria
Remarque Jahrbuch/Yearbook 22), 37–50.
Thomas F. Schneider. »Seid wachsam! Georg Wilhelm Pabsts Der letzte Akt
(1955) als pazifistische Positionierung im Kontext des Kalten Krieges«.
Christin Niemeyer, Ulrich Pfeil (eds.). Der deutsche Film im Kalten Krieg.
Bruxelles et al.: P.I.E. Peter Lang, 2014 (Deutschland in den internationalen
Beziehungen 5), 63–76.